Interview – Inszenierungsspiele

07.04.2022

Interview – Inszenierungsspiele

Interview_Boy

Im Gespräch mit Autorin Dr. Alina Boy

Ihr Werk „Inszenierungsspiele“ behandelt Geschlecht, Autofiktion und Autorinnenschaft bei Franziska zu Reventlow. Wer war Franziska zu Reventlow und inwiefern führte sie ein „skandalöses Leben“?

Franziska zu Reventlow wird als eine der bekanntesten Größen der Münchner Bohème um 1900 populär. Bekanntheit erlangt sie vor allem aufgrund ihres unkonventionellen Lebensstils als willentlich alleinerziehende Mutter und als sexuell wie intellektuell emanzipierte Vordenkerin. Sie bewegt sich in den Künstlerkreisen Münchens und schreibt nicht nur kontroverse Essays zur zeitgenössischen Frauenbewegung, sondern auch zahlreiche literarische Texte. In das kulturelle Gedächtnis geht sie trotz ihrer Tätigkeit als Autorin in erster Linie als erotisierte und mit Phantasmen besetzte ,Skandalgräfin‘ oder ,moderne Hetäre‘ ein. In der Rezeption wird Reventlow bis heute meistens auf ihre außergewöhnliche Biographie reduziert. Im Kontrast dazu widmet sich meine Dissertation Reventlows Texten und ihrer Autorinneninszenierung unter einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Perspektive und untersucht sie in ihren literarischen und kulturellen Kontexten. Die Arbeit schließt damit an eine genderkritisch geprägte Relektüre der Literatur von Frauen an und liefert auch innerhalb der literaturwissenschaftlichen Forschung eine revidierende Perspektive auf Reventlows Œuvre. Ziel war es, Reventlows kritische und dekonstruktive Verfahren bezüglich der Repräsentation von Geschlecht und Autorinnenschaft, aber auch zeitgenössischer Diskurse und literarischer Traditionen herauszuarbeiten. Reventlow selbst als Autorin wie auch ihre Texte werden so für einen breiteren Kanon jenseits biographischer Zuschreibungen und geschlechtsspezifischer Ausschlussmechanismen sichtbar gemacht.

Was hat es mit dem „Mythos Reventlow“ auf sich?

Der ,Mythos Reventlow‘ bezeichnet das sich verselbstständigte öffentliche Bild Franziska zu Reventlows als ebenjene ,Skandalgräfin‘ oder ,moderne Hetäre‘. In meiner Dissertation nutze ich diesen Begriff, um auf dieses Bild zu verweisen, das sich nicht nur durch Fremdinszenierungen – also Projektionen von Weiblichkeitsstereotypen auf die ,Persona‘ Reventlow – erzeugt, sondern ebenso maßgeblich durch Reventlows eigene, kalkuliert angelegte Selbstinszenierung. In ihren literarischen Texten, aber vor allem auch in ihrer außerliterarischen Autorinneninszenierung setzt sich Reventlow in ironischem Rekurs auf das eigene ,skandalöse‘ Image und unter Bezug zu hochkulturellen Traditionslinien selbst als Skandalgräfin oder erotisierte Aphrodite in Szene. Der ,Mythos Reventlow‘ bezeichnet also nicht die realhistorische Person oder Autorin Reventlow, sondern deren auf Inszenierungsstrategien basierende öffentliche Persona, die sich aus der Wechselwirkung zwischen Selbst- und Fremdinszenierungen ergibt. Diese Persona und auch der ,Mythos Reventlow‘ prägen das Bild und die Rezeption Franziska zu Reventlows im kulturellen Gedächtnis bis heute.

Welche Rolle schreiben sie der medialen Autor:inneninszenierung generell zu (ggf. auch im Bezug auf Sie selbst als Autorin)?

Die intermediale Autorinneninszenierung spielt für die Rezeption Reventlows und auch den ,Mythos Reventlow‘ eine große Rolle. Mittels verschiedener außerliterarischer Medien und Dokumente, vor allem Fotografien, aber zum Beispiel auch einer Visitenkarte, inszeniert sich Reventlow in Rekurs auf das eigene, mit Projektionen behaftete Fremdbild. Auf verschiedenen Fotografien präsentiert sie sich in der Tradition hochkultureller Ikonographien, zum Beispiel nackt am Strand von Samos als erotisierte Aphrodite oder als heilige Madonna mit dem Kinde, ihrem Sohn Rolf. Sie greift hier tradierte und auf sie projizierte Weiblichkeitsphantasmen des ,Mythos Reventlow‘ auf und bricht diese ironisch. Reventlow setzt sich so als Autorin, aber zugleich auch marktstrategisch als ,Skandalgräfin‘ oder ,moderne Hetäre‘ in Szene. Deutlich wird so, dass die ,Skandalgräfin‘ und ,Hetäre‘ Reventlow, als die sie bis heute bekannt ist, selbstreflexiv mit ebensolchen Zuschreibungen spielt und gleichzeitig dekonstruiert. Reventlow kann damit als frühe Vertreterin einer medialen Autor:inneninszenierung betrachtet werden, wie sie heute, etwa auf Social-Media-Kanälen wie Twitter oder Instagram, von so gut wie allen Gegenwartsautor:innen betrieben wird.

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