Interview mit der Autorin Dr. Rike-Kristin Baca Duque
Wie verändern sich öffentlich getragene Theater – und ist institutioneller Wandel überhaupt möglich? Frau Dr. Baca Duque beschäftigt sich in Ihrem Werk Aufbrüche des Theaters – mit Fokus auf Gender und Diversität – interdisziplinär mit der Theraterbranche und aktuelle Reformprozesse in dem Milieu. Unser Verlag unterhielt sich mit der Autorin:
In Ihrer Studie beleuchten Sie Reformprozesse im Theater aus prozesssoziologischer Perspektive. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?
„Mich hat interessiert, wie sich Transformationsprozesse im öffentlich getragenen Theater in der gelebten Praxis vollziehen – also nicht als Bruch oder Reform „von oben“, sondern als allmählicher, konfliktreicher Prozess, der zwischen Akteur:innen mit unterschiedlichen Machtchancen und -potenzialen, Interessen und Agenden ausgehandelt wird.
Die Prozesssoziologie nach Norbert Elias ermöglicht, diese Dynamiken in ihren Machtverflechtungen und historischen Tiefen zu verstehen. In Kombination mit dem Neo-Institutionalismus ließ sich so zeigen, wie Reformversuche oft zwischen Anpassung und Beharrung oszillieren und wie stark ihr „Gelingen“ von gesamtgesellschaftlichen Kontexten abhängt. So wird sichtbar, dass institutionelle Reformprozesse nie linear verlaufen, niemals abgeschlossen sind und sich jederzeit auch wieder ins Gegenteil verkehren können. Sie sind darüber hinaus von miteinander divergierenden internen und externen Erwartungen und Normen sowie Akteur:innen, Strukturen und Organisationskulturen geprägt.“
Sie zeigen die Konfliktlinien zwischen Beharrungskräften und Aktivismus. Wo treten diese Spannungen im aktuellen Theaterbetrieb besonders deutlich hervor?
„Besonders deutlich zeigen sich diese Konfliktlinien dort, wo neue Leitungsmodelle sowie Gleichstellungs- und Diversitätsinitiativen auf tradierte Theaterhierarchien, Besetzungsschlüssel und Arbeitspraktiken im Spannungsfeld zwischen künstlerischen, politischen und administrativen Logiken treffen.
Viele Häuser reagieren auf diese komplexe Gemengelage kaum miteinander vereinbarer Ansprüche mit Reformrhetorik und Symbolpolitik – aber unter der Oberfläche wirken alte Netzwerke, Machtstrukturen und Arbeitskulturen fort. Mich interessiert genau dieses Nebeneinander von Veränderungswillen, institutioneller Trägheit, aber auch explizitem Widerstand gegen Reformen, welches insbesondere den Theaterbetrieb stark prägt. Aktuelle gesamtpolitische Entwicklungen lassen zudem befürchten, dass diese nicht spurlos an den Kulturbetriebe vorübergehen, wodurch progressive Transformationsprozesse erneut an Legitimität und Rückhalt verlieren könnten.“
Geschlechtergerechtigkeit und Diversität stehen im Zentrum Ihrer Untersuchung. Welche historischen Entwicklungen sind für das Verständnis heutiger Reformforderungen entscheidend?
„Die aktuellen Reformforderungen in Richtung Geschlechtergerechtigkeit und Diversität stehen in einer langen Tradition. Nachkriegs-Gleichstellungspolitiken in der DDR, die Frauenbewegung der 1970er Jahre in der BRD und schließlich die #MeToo-Debatte in Kombination mit sich neu herausbildenden Initiativen wie Pro Quote Bühne oder das ensemble-netzwerk verschafften diesen Themen neue Legitimität und Sichtbarkeit in der Theaterwelt. Besonders seit 2017 sind Gleichstellung und Diversität zunehmend zu normativen Erwartungen in der Theaterwelt geworden.
Zugleich zeigen historische Rückblicke bis ins 19. Jahrhundert hinein, wie zäh sich Macht- und Geschlechterordnungen verändern und wie wirkmächtig veränderungsresistente Akteur:innen gegen progressive Transformationsbestrebungen vorgehen. Erst durch diese historische Tiefendimension wird verständlich, warum strukturelle Ungleichheiten im Theater bis heute fortwirken.“
Dr. Baca Duques Arbeit verbindet mit einem interdisziplinären Ansatz Organisationssoziologie, Figurationssoziologie und Kulturwissenschaft – und eröffnet damit neue Perspektiven auf das Theater als Institution im Spannungsfeld von Tradition und Wandel.